Industriegebiet Oberelbe
Offener Brief an den Vorsitzenden des Zweckverbandes IPO (Industriegebiet Oberelbe) Herrn Opitz, die Bürgermeister und Stadträte der am Zweckverband IPO beteiligten Städte Pirna, Heidenau und Dohna
Was hat das geplante IPO mit der Agenda 30 zu tun ?
Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland gehört zu den reichsten Ländern weltweit. Sie, sehr geehrte Damen und Herren bemühen sich dankenswerterweise den Wohlstand in unserer Region durch das angestrebte140 ha großen IPO noch mehr zu steigern. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich an der Realisierbarkeit und am Nutzen dieses Vorhabens zweifle, weil erstens die Wachstumsphase der Wirtschaft nicht gewaltsam reanimiert werden kann und deshalb möglicherweise die auszuweisenden Flächen nicht oder nur teilweise bebaut werden, zweitens erheblicher Schaden für Landschaft und angrenzende Ortslagen entstehen kann und drittens wichtige Aufgaben zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen dem entgegenstehen. Das ist der Schutz unserer wichtigsten Lebensgrundlage des Bodens.
Wirtschaftswissenschaftler erkannten, dass die wirtschaftliche Nachkriegsaufschwungphase ihren Kulminationspunkt bereits überschritten hat. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre jetzt der Umbau hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft erforderlich. Das geschieht bereits. Sie dagegen wollen sich von der nicht mehr zeitgemäßen Wachstumsidee nicht lösen und Industrie in unsere Region holen, um den Bevölkerungsrückgang umzukehren und das finanzielle Einkommen in der Region zu steigern. Das ist sehr anerkennenswert. Ihr Wunsch steht aber gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Wir sollten die Zeichen der Zeit nicht ignorieren.
Sachsenweit wurden Gewerbegebiete mit hohem finanziellem Aufwand für die Infrastruktur aufgebaut. Jetzt stehen viele von ihnen leer oder fast leer. Sie kosten aber weiterhin Geld für die Pflege und Unterhaltung der Infrastruktur. Das kann längerfristig schlimme finanzielle Folgen haben bes. im Zusammenhang mit einer schrumpfenden Bevölkerung.
Das 140 ha weite Industriegebiet soll auf dem Höhenzug vom Feistenberg in Pirna über Krebs bis nach Grosssedlitz und Dohna entstehen. Dieser exponierte Landschaftsteil ist umgeben von großräumigen Landschaftsschutzgebieten mit ihren Blickbeziehungen zum IPO und über den IPO hinweg. Ein solches Industriegebiet auf dieser Fläche würde das Landschaftsbild weiträumig stark beeinträchtigen. Zudem gehört dieser Teil der Landschaft zum unmittelbaren Lebensumfeld der Pirnaer, Heidenauer, Dohnaer und Dresdner. Er ist unser Lebensraum, unser Identifikationsraum, unsere Heimat (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie). Diese wollen wir nicht unsicheren Spekulationen opfern. Weiterhin würde die Hochwassergefahr für die tiefer liegenden Ortslagen von Pirna und Krebs steigen, die Lufterhitzung durch Bodenversiegelung würde die globale Erwärmung unterstützen. Die Verkehrsbelastung mit ihrer Feinstaub- und vor allem Lärmemission, die jetzt bereits durch eine neue Autobahn samt Zubringer trotz Lärmschutzmaßnahmen nervt, würde für viele Anwohner in Dohna und Heidenau-Süd zu einer nicht mehr zumutbaren Dauerbelastung anwachsen. Eine nicht zu übersehende ernste Warnung ist der Wassermangel des Sommers 2018. Industrie verbraucht viel Wasser. Die Menschen haben das Nachsehen, wie im Frankfurter Raum, wo wegen der vordringlichen Wasserversorgung der Industrie einige Gemeinden per Tankfahrzeug mit Trinkwasser versorgt werden mussten.
Besonders schwer wiegt die unwiederbringliche Zerstörung landwirtschaftlich genutzten Bodens als unserer wichtigsten nicht regenerierbaren Resource, die auch im Hinblick auf die wachsende Erdbevölkerung als Nahrungsgrundlage und durch die notwendige Neuorientierung im Rohstoffsektor zur Erzeugung pflanzlicher Rohstoffe für die Industrie zunehmend gebraucht wird.
Die im September 2015 von der UN verabschiedete Agenda 30 und der im Oktober 2015 folgende „Landdegradation neutrality“ fordern STOP dem Landverbrauch ! Die Wissenschaft weist schon lange auf das Problem hin. Erst 2017 schreibt Michael Winkler in seiner Dissertation an der TU Dresden: „Flächenverbrauch ist nach wie vor eines der dringendsten Umweltprobleme.“
Aufbauend auf der Agenda 30 legt die Bundesregierung die Ziele zum Schutz des Bodens in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie fest.
Das Bundesministerium für Naturschutz, Umwelt und Bauen bezeichnet den Flächenverbrauch als „schleichendes Phänomen, das Bürger und politische Entscheidungsträger kaum wahrnehmen, weshalb ihnen das Problem nicht bewusst ist.“ Mit diesem Brief möchte ich Ihnen dieses Problem jetzt bewusst machen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit bemerkt: „Angesichts global begrenzter Landwirtschaftsflächen und fruchtbarer Böden sowie der wachsenden Weltbevölkerung ist der anhaltende Flächenverbrauch mit all seinen negativen Folgen unverantwortlich.“ Weil die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Handlungsweise der Politik und Wirtschaft sehr weit auseinanderklaffen, ließ sich die bekannte Meeresbiologin und Traegerin des Umweltpreises 2018 und noch vieler weiterer Preise und Auszeichnungen, Frau Prof. Dr. Antje Boetius zu dem verzweifelten Aufschrei verleiten: „Trotz all der Forschung, die wir bereitstellen, trotz unserer Erkenntnisse hat man das Gefühl, da sitzen Leute auf ihren Ohren.“
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung kam in einer Hochrechnung im Jahre 2008 auf ein Brachflächenpotenzial bei ehemaligen Wohn- und Gewerbeflächen von 63.000 ha. Das sind Flächen, die unmittelbar für neue Vorhaben genutzt werden können ohne den geringsten Bodenverbrauch und ohne Landschaftszerstörung. Heidenau selbst weist mit dem seit mehr als 20 Jahren fast ungenutztem Gewerbegebiet an der Dresdner Straße und den Industrieruinen entlang der Bahnstrecke Heidenau-Pirna ungenutzte Reserven auf. Das o. g. Bundesministerium schätzt ein, dass Flächenrecycling unabhängig von staatlichen Förderprogrammen bald selbstverständlich werden wird. Leider ist davon nichts zu spühren. Wir alle sollten deshalb die Politiker aller Ebenen auffordern die Flächenpolitik zu intensivieren und der Bevölkerung das Problem bewusst zu machen. Uns nutzen gute Beschlüsse und Festlegungen wenig, wenn sie nicht umgesetzt werden.
Wir brauchen in einer Zeit der überfüllten Märkte und der Überproduktion keine neuen Fabriken. Wir brauchen dringend einen verlässlichen Schutz des Bodens, der Landschaft und die Sicherung der Identifikationsräume der Menschen, ihrer Heimat und allmählichen Rückbau aller der Faktoren, die unsere Lebensqualität in der Landschaft und den Siedlungsgebieten im Namen des „wissenschaftlich- technischen und ökonomischen Fortschrittes zunehmend beeinträchtigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte durchdenken Sie Ihr Vorhaben mit all seinen noch nicht berücksichtigten Risiken und schwerwiegenden Folgen noch einmal gründlich. Bitte beachten Sie die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und machen Sie diese zum Gradmesser aller künftigen Entscheidungen. Am besten Sie stoppen den IPO sofort, bevor noch mehr Geld und Kraft dafür verschwendet wird. Denken Sie nachhaltig, und handeln Sie nachhaltig, damit wir und vor allem unsere Nachkommen noch Chancen auf ein erträgliches Leben haben.
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Rauch